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Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

In einer Zeit, in der wir von einer generischen Blockbuster-Produktion nach der nächsten heimgesucht werden, sind Filmfans immer wieder auf der Suche nach Perlen. Und diese gibt es natürlich immer noch, seltener zwar, aber sie sind noch da. Dass eine solche Perle dann gleichzeitig aber auch versucht, mit eben dieser heutigen Blockbuster-Zeit abzurechnen, klare Kritik zu äußern und dennoch Herz zu haben, nicht bloß auszuteilen, sondern auch einzustecken, das ist nicht nur selten, das kommt so gut wie nie vor. Und genau deswegen ist "Birdman" auch ein Film, den wirklich jeder gesehen haben sollte.

BIRDMAN


Riggan Thomson (Michael Keaton) war als "Birdman" in den 90er Jahren ein großer Filmstar, heute jedoch steckt seine Karriere fest, niemand erinnert sich wirklich an ihn. Um wieder ins Business einzusteigen, versucht sich Thomson im Theater, möchte mit Hilfe seines als Produzent agierenden besten Freundes Jake (Zach Galifianakis) ein Stück auf die Beine stellen, welches er selbst schrieb, bei welchem er die Regie führt und die Hauptrolle übernimmt. Da Thomson mit seinen privaten Problemen und Depressionen jedoch immer weiter abrutscht, droht das Stück zur Farce zu werden, nicht zuletzt durch die Besetzung des notorischen und schwierigen Mike Shiner (Edward Norton) in einer der Hauptrollen...

Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritu galt bei der Oscarverleihung 2016 mit seinem gehypten Werk "The Revenant" als großer Favorit und nahm dafür auch den Regie-Oscar mit nach Hause, auch wenn es für den besten Film nicht reichte. Bereits ein Jahr zuvor nahm er für "Birdman" den Regie-Preis mit nach Hause und sahnte dabei nebenbei auch noch den Hauptpreis und auch den Preis für das beste Originaldrehbuch ab: Die Tragikomödie über einen gescheiterten Filmstar war der große Gewinner des Abends und nun, nachdem ich den Film endlich zum ersten Mal gesehen habe, steht für mich fest, dass dies absolut zurecht geschehen ist, denn "Birdman" ist von der ersten bis zur letzten Minute ein großartiges Kunstwerk. 
Kleinere Schwächen sind Nebensache, so zum Beispiel die ein oder andere nicht richtig zu Ende gedachte Nebenhandlung oder auch ein, zwei minimale Längen im letzten Drittel, der Rest ist dagegen schlichtweg meisterhaft, es ist die Art Filmkunst, nach der man das ganze Jahr über sucht, von welcher man aber nur so wenig findet. Inarritus Regie ist über alle Zweifel erhaben, er wagt sehr, sehr mutige Neuheiten und erfrischende Inszenierungen, die auch in die Hose hätten gehen können, die sich aber als grandios herausstellen. So gibt es nur zu Beginn und am Ende einen klaren, sichtbaren Schnitt, ansonsten läuft der Film ohne sichtbare Schnitte weiter, digital wurden diese unsichtbaren Cuts dann eingefügt, für den Zuschauer entsteht jedoch der Eindruck, als würde alles in einer einzigen Einstellung gedreht werden. 
Wie schwer dies zu drehen sein muss, das kann man sich kaum vorstellen, alles muss perfekt sitzen, das Timing muss funktionieren, die Schauspieler müssen ihren Text punktiös genau draufhaben... wie in einem Theaterstück eben, in welchem auch nicht abgebrochen werden kann, in welchem einfach weitergespielt werden muss, ganz gleich, was geschieht. Inarritu hätte sich keinen besseren Film für diese Idee aussuchen können, von welcher ihm sogar von Fachkennern abgeraten wurde, da es schlichtweg zu schwierig war. Er machte es trotzdem und dadurch entsteht ein Sog, den ich so selten erlebt habe, der mich in den Film hineingezogen hat, durch welchen ich den Blick nicht mehr abwenden konnte. Den hochverdienten Oscar für die beste Kamera für Emmanuel Lubezki (welcher ihn bereits ein Jahr zuvor für "Gravity" bereits gewann und diesen ein Jahr später für "The Revenant" zum dritten Mal in Folge an sich nahm) gab es dafür natürlich obendrauf. 
Wo die Geschichte an sich dann nicht himmelschreiend originell ist, da ist es die Inszenierung, in welcher jede Szene wichtig ist und perfekt durchchoreographiert ist, was man in heutigen Filmen selten sieht. Es wirkt einfach grandios erfrischend und packend. Für die Schauspieler war diese Machart natürlich eine große Herausforderung und besonders vor Michael Keaton kann man da nur den Hut ziehen, der hier eine Rolle annahm, die eine ironische Ähnlichkeit mit seinem eigenen Leben vorweist und durch welche er von Tag auf Nacht wieder in die A-Liga Hollywoods aufsteigen konnte, nachdem seine Karriere eigentlich bereits als beendet galt. Mit der sicherlich besten Leistung seines Lebens fesselt Keaton als abgehalfterter Schauspieler und hat mich beinahe zu Tränen gerührt. Neben ihm glänzt ein Star-Ensemble mit Mut zur Hässlichkeit: Edward Norton karikiert sich als aggressiver und durchgeknallter Method-Actor auch ein wenig selbst, Naomi Watts ist wunderbar sensibel und Emma Stone als Keatons Filmtochter ist sogar als drogenabhängige, aufmüpfige Junggebliebene noch so zauberhaft, dass man sie am liebsten in jedem Film sehen würde. Auch "Hangover"-Gag-Lieferant Zach Galifianakis überzeugt ohne Abstriche in einer passenden, weitaus ernsteren Rolle, die man ihm so gar nicht zugetraut hätte.
Fazit: Inarritus Inszenierung ist ein Sog, ein perfekt durchkomponiertes Tragi-Comedy-Drama mit einem grandiosen Hauptdarsteller, mit etlichen Kniffen und einer meisterhaften Kamera. Man kann seinen Blick schlichtweg nicht abwenden.

Note: 2+




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