Direkt zum Hauptbereich

Auge um Auge (2013)

2011 gewann Christian Bale hochverdient seinen ersten und bislang auch einzigen Oscar, als bester Nebendarsteller für sein grandioses Spiel in einem der besten Boxer-Dramen aller Zeiten, "The Fighter". Damals war er der ziemlich verkorkste kleine Bruder eines hochmotivierten Sportlers... drei Jahre später hat sich Bales ohnehin stets ziemlich interessante Rollenauswahl genau um hundertachtzig Grad gedreht. Auch in Scott Coopers "Auge um Auge" spielt er wieder einen Teil eines Brüderpaares, dieses Mal jedoch nicht den, um den man sich sorgen muss. Zumindest nicht zu Großteilen, denn einen tieferen, seelischen Abgrund hat hier beinahe jede der vielen handelnden Figuren...

AUGE UM AUGE


Seit sein kleiner Bruder Rodney (Casey Affleck) aus dem Krieg heimgekehrt ist, bemüht sich Russell Baze (Christian Bale) darum, ihn über Wasser zu halten. Selbst mit einem Gefängnisaufenthalt belastet kann ihn nichts davon abhalten, irgendwie dafür zu sorgen, dass es Rodney gut geht... obwohl es ihm selbst an viel fehlt. Doch mit der Zeit bringt Rodney sich wieder in Gefahr, als er über illegale Boxkämpfe an Geld kommen will und sich dabei mit den falschen Managern anlegt. Dabei gerät er an den vollkommen wahnsinnigen, eiskalten Verbrecher Harlan DeGroat (Woody Harrelson), der seine eigene Methoden hat, mit seinen Mitstreitern umzugehen...

So richtig weiß man nicht, wohin "Black Mass"-Regisseur Scott Cooper mit diesem Film nun hin will. In seiner ersten Hälfte entwirft er ein sehr stimmiges, zumeist ruhig und dadurch in Einzelszenen auch intensiv erzähltes Bild einer Arbeiterfamilie, die immer darum kämpft, endlich ein wenig im Leben voranzukommen, der genau das aber nicht gelingt. Unzufriedenheit, die Bemühung, dennoch optimistisch zu bleiben, Familienzusammenhalt, Verlust... all diese Themen sind drin und auch wenn man sie in anderen Filmen schon gewichtiger inszeniert gesehen hat, so funktioniert der Schritt hin zum stillen Familiendrama mit gelegentlichen Gewaltspitzen gut. Wir fühlen mit den Figuren, da sich Cooper genügend Zeit nimmt, um sie zu charakterisieren und wir fühlen auch die Schläge, die sie abbekommen - insbesondere auf psychische Weise, wogegen Cooper die physischen Gewaltakte nie richtig brutal inszenieren kann, weswegen auf dieser Ebene die letzte Intensität fehlt, einige der harten Boxkämpfe etwas leidlos verpuffen. 
Schauspielerisch ist das dennoch glanzvoll, auch wenn man etwas enttäuscht mitansehen muss, dass große Namen wie Zoe Saldana und insbesondere "Nicht auflegen"-Star Forest Whitaker hier doch deutlich weniger zu tun haben als man es gewohnt ist. Dafür hat Willem Dafoe mal wieder eine ziemlich hübsche, gar nicht mal so einseitige Rolle abbekommen, Casey Affleck ist ohnehin gewohnt grandios und Sam Shephard hat einige wunderbare, tiefschürfende Einzelszenen - dass durch seinen Tod im Jahr 2017 ein herber Verlust entstanden ist, wird immer deutlicher, je mehr mit ihm besetzte Filme ich sehe. Christian Bale und Woody Harrelson hingegen liefern sich ein Hauptrollen-Duell, aus dem irgendwie beide als Gewinner hervorgehen: Harrelson liegt die Rolle des wahnsinnigen Psychopathen, was er bereits in der verrückten Crime-Comedy "7 Psychos" zu Genüge bewiesen hat und auch Bale schmeißt sich wie immer sehr kraftvoll, beinahe erschütternd real in seine Arbeit... sein Gesicht ist oftmals gar ein echter Ausfluss an großen Emotionen, so viel spielt sich in jedem einzelnen Moment darin ab. 
Leider kann das Skript später nicht mehr mit den starken Leistungen der Schauspieler mithalten. Über einige etwas überladene Subplots kann ich noch hinwegsehen, da der Film sich somit auch bei Nebenfiguren in mal kurzen, mal auch längeren Handlungen eine recht bemerkenswerte, oftmals auch überraschend konsequente Tiefe auflädt, die mir gefallen hat. Sobald sich das Werk jedoch in einen Rache-Thriller verwandelt, fällt die Intensität ins Bodenlose, die Geschichte offenbart sich als vorhersehbarer und ziemlich halbgarer Plot, der keinerlei Überraschungen mehr bietet. Dass neue Ideen fehlen ist okay, aber trotzdem hätte man diese hitziger inszenieren können, ohne am Ende all die Subplots fallen zu lassen. Zum Schluss wirkt der Film haltloser, irgendwie zu flott zu Ende gedachter, als er hätte sein können, ist einen langen Weg gegangen, der nicht unbedingt ins Nichts führt, aber dennoch unbefriedigend ist und allzu klischeehaft endet. Das ist schade, hat Cooper doch zuvor bewiesen, dass er sich in dem Genre wohlfühlt... um sich dann doch von nervigen Klischees überrollen zu lassen, die dem Werk seine angenehme Tiefe beinahe vollends rauben.

Fazit: Halbgarer Thriller, der zu Beginn ein stimmiges Familiendrama entwirft, später aber in einen vorhersehbaren, erstaunlich simplen Rache-Thriller abdriftet. Die namhafte Besetzung tut ihr absolut Bestes, doch auch sie können nicht gegen etliche Plotholes der eher lauen Geschichte ankämpfen.

Note: 3-




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid