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The Book of Henry

Die Gerüchte, wieso Colin Trevorrow seinen Regieposten für den finalen Teil der neuen "Star Wars"-Trilogie eingebüßt hat, reißen nicht ab. Aus vertraulichen Kreisen heißt es mittlerweile, dass Trevorrow seit seinem Mega-Erfolg mit "Jurassic World" einen Höhenflug erlebt und somit auch mit Produzentin Kathleen Kennedy aneinandergeraten sei, die ihn daher nicht mehr halten wollte. Sein nächster Film gab ihr Recht - "The Book of Henry" floppte an den amerikanischen Kinokassen und wurde von Kritikern förmlich zerrissen, weswegen man Trevorrow vorwarf, eine solch gigantische Produktion wie das neue Finale der Sternenkriege nicht mehr stemmen zu können. Doch ist ein Thriller, dessen Trailer doch so überzeugend aussah, wirklich so schlecht? Ich habe ihn gesehen und kann mir daher nun endlich ein Urteil bilden...

THE BOOK OF HENRY


Der elfjährige Henry Carpenter (Jaeden Lieberher) ist hochbegabt, gar so sehr, dass er die Finanzen für seine vollkommen überforderte Mutter Susan (Naomi Watts) im Alleingang regelt. In der Schule hat es Henry nicht schwer, nimmt seinen kleinen Bruder Peter (Jacob Tremblay) unter die Fittiche und hat auch ein Auge auf seine Nachbarin Christina Sickleman (Maddie Ziegler) geworfen. Bei genauerem Hinsehen stellt er jedoch fest, dass es Christina nicht gut geht und diese offenbar von ihrem Stiefvater Glenn (Dean Norris) bedrängt wird. Daraufhin schmiedet Henry einen Plan...

So richtig wird nicht klar, was uns Colin Trevorrow hier eigentlich genau erzählen möchte. Zuvorderst sicherlich die Beziehung eines hochbegabten Jungen, der trotz seiner enormen Intelligenz und seines hohen Einfühlungsvermögens ein ganz normales Leben führen möchte und dabei seine Familie aus vollsten Drängen unterstützt. Das ist recht schön inszeniert, besitzt ebenso leisen Humor wie eine tiefe Dramatik, die ab der Hälfte Einzug hält und tatsächlich zu berühren weiß. Die Charaktere sind keine reinen Abziehbilder und weichen herkömmlichen Klischees recht gekonnt aus, trotzdem gelang es mir nicht, die meisten von ihnen sympathisch zu finden - einzig und allein Henrys kleiner, aufgeweckter Bruder Peter sowie das stillschweigende Opfer Christina wussten Gefühle in mir zu wecken, die Henry selbst nicht wachrufen konnte, kommt er über weite Strecken doch zu altklug daher. 
Das ist über weiteste Strecken sicherlich so gewollt, was Trevorrow jedoch sicher nicht wollte war, dass die Geschichte doch ziemlich schwachsinnige Züge annimmt. Der "Jurassic World"-Regisseur bewegt sich in verschiedenen Genres, lotet neben der Komödie und dem im Trailer bereits exzessiv angespielten Thriller aber eigentlich nur das Drama voll aus. Diesem steht jedoch die eher banale Inszenierung Trevorrows entgegen, der es verpasst, den jeweiligen Szenen im richtigen Moment noch die nötige Härte zu geben - es wirkt eben alles ein wenig fahrig. Szenen wie die einer bestimmten, zuvor nur nebenher aufgetauchten Person, die neben der Bühne stehend und mit sich hadernd ein gewisses Spiel beobachtet, sind in ihrer glaubwürdigen Intensität Mangelware, da Colin Trevorrow sein schwaches Skript niemals unter Kontrolle bringt. 
Die Thematik an sich ist ebenso wichtig wie markerschütternd, der junge Regisseur bringt dies jedoch nur mit einer sehr holprigen Geschichte in Einklang, die schon früh enorme Löcher entwickelt. Um es noch freundlich auszudrücken handeln einige Charaktere besonders in der zweiten Hälfte absolut nicht nachvollziehbar, ganz besonders wenn es um Henry und seine Mutter geht. Henry, immerhin die Ausgeburt der Intelligenz, der schon stets für etliche Fälle clever vorgesorgt hat, lässt sich später zu einigen deutlichen Missetaten hinleiten, die unglaublich schlecht durchdacht sind, was den gesamten, zuvor mühsam aufgebauten Charakter in einem völlig falschen Licht stehen lässt - so ganz einig war man sich hier offensichtlich nicht, wer dieser Junge sein soll. Auch darüber hinaus funktioniert die Geschichte fast ausschließlich über flache Behauptungen und schreitet nur deswegen zügig voran, da fast alle Charaktere darin unglaublich dumm handeln und sich gerne für einen schweren Weg entscheiden, anstatt einfach die Konfrontation nach vorne zu suchen. 
Das ist bis zum kitschigen Ende hin ziemlich unbefriedigend und enorm löchrig, wobei viel Gefühl und auch Spannung verlorengeht. Schauspielerisch machen sie jedoch alle einen guten Job, allen voran der mal wieder großartige Jacob Tremblay, der seinen Siegeszug nach "Raum" weiter fortsetzt. Sein älterer Filmbruder Jaeden Lieberher macht seine Sache ebenfalls bravourös - ich freue mich schon, ihn nächste Woche in "Es" direkt in seinem nächsten Film wiederzusehen. Auch Naomi Watts glänzt sichtlich, obwohl ihr das Drehbuch einige schrecklich schlechte Wendungen auf den Leib schneidert, einzig und allein "Breaking Bad"-Star Dean Norris und Sarah Silverman bekommen in ihren arg eng geschnallten Rollen zu wenig zu tun.
Fazit: Die Ansätze waren gut, aber Trevorrow wollte zu viel, lässt seine recht krude Handlung niemals schlüssig werden und seine Charaktere seltsame Taten vollbringen. Die Schauspieler machen ihre Sache indes gut, können den Humbug, den man uns hier vorsetzt, aber auch nicht vollständig retten.

Note: 4+






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