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Sieben Minuten nach Mitternacht

Eigentlich war das sensible Fantasy-Drama von Regisseur J.A. Bayona bereits für den Anfang des Kinojahres 2017 angesetzt, wurde schließlich jedoch auf Mai verschoben. Ein solche Veränderung des normalerweise von den Studios stets sehr genau durchgeplanten Terminkalenders zeugt meistens von nichts Gutem, liegt diesmal jedoch den deutschen Verleihern zu Grunde. In den USA kam der Film bereits passend zur Weihnachtszeit in die Kinos, wir sehen das Werk leider mit fünfmonatiger Verspätung. Nun konnte ich mich endlich von dem fixen Ergebnis überzeugen und mir den lange stark promototen "Sieben Minuten nach Mitternacht" im Kino ansehen...

SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT


Der junge Conor O'Malley (Lewis MacDougall) hat es nicht leicht im Leben. Seine Mutter (Felicity Jones) liegt krebskrank im Sterben, seine emotional kühle und unnahbare Großmutter (Sigourney Weaver) soll den Jungen aufnehmen und von seinem Vater (Toby Kebbell) hat er sich entfremdet. Zudem wird er in der Schule gemobbt und kann sich nicht abfinden, bald seine Mutter zu verlieren. In einer Phantasie erschafft er sich ein Monster, welches ihn durch diese schwere Zeit trägt und ihm auch einige wichtige Lektionen beibringt. Lektionen, die Conor immer näher an den unvermeidlichen Abschied heranbringen...

Man muss J.A. Bayona erst einmal zu Gute halten, dass er es dank einem starken, auf einer bewegenden Romanvorlage beruhenden Drehbuch schafft, die komplexe emotionale Vielfalt eines Kindes während einer solchen Extremsituation greif- und spürbar zu machen. Getragen von Lewis MacDougall, der hier eine grandiose Darstellung abliefert und selbst schon in jungen Jahren jegliche Szene nuanciert beherrscht, erleben wir die Geschichte eines traumatisierten Jungen, der sich in seiner eigenen, realen Welt zurechtfinden muss und indes auch schwer daran zu kauen hat, dass ihm das Schicksal stets große Steine in den Weg legt. Auf ebenso berührende wie einfühlsame Weise nähert man sich den Themen Tod, Abschied und Selbstakzeptanz an, ohne dabei den moralischen Zeigefinger erheben zu müssen und sorgt für einige herzliche Momente. 
Natürlich fehlt es, wie erwartet, ab und an ein wenig an Tempo, doch das ist bei einer solchen Geschichte eher nebensächlich, denn auf emotionaler Ebene funktioniert der Film, auch wenn er mit den ganz großen Vorbildern nicht konkurrieren kann. Als problematisch empfand ich es nämlich, dass er rein gar nichts Neues erzählt, dies vielleicht auch gar nicht will. So sah ich über 108 Minuten einer netten Geschichte zu, die mir jedoch relativ wenig gab, da ich solcherlei Handlungen in ähnlicher Art und Weise, auch in Sachen Inszenierung, auch schon besser gesehen habe. Da lässt sich zum Beispiel ziemlich leicht ein Vergleich zu dem grandiosen "Die Brücke nach Terabithia" ziehen, der mit ähnlichen Themen aufwartet, diese aber noch treffsicherer und somit noch bewegender verpackte.
 Bayona müht sich redlich und schafft es besonders gegen Ende, die Tränendrüsen der Zuschauer auf eine harte Probe zu stellen, ohne dabei in Kitsch abzutauchen, eine eigene Richtung findet er aber nicht und ruht sich streckenweise auf Klischees aus. Dies gilt sowohl für die kühle, letztlich aber doch sehr warmherzige Großmutter, für den fiesen Schul-Rowdy und auch für Conors Mutter... allesamt tolle Figuren, an sich aber leider nicht originell, was auch für die ganze Geschichte an sich gilt. Einzig Conors Vater ist hier ein echtes Original und wird menschlich und glaubwürdig dargestellt, was einem kleinen Wunder gleichkommt, aber immerhin für einige Überraschungen sorgt.
 Auf technischer und schauspielerischer Ebene gibt es indes nichts zu meckern. Lewis MacDougall trägt den Film beinahe alleine, neben ihm glänzen jedoch besonders "Avatar"-Star Sigourney Weaver und die für "Die Entdeckung der Unendlichkeit" oscarnominierte Felicity Jones, auch wenn das Drehbuch ihnen manch ein Klischee hinzudichtet, mit dem sie leben müssen. Auf visueller Ebene geraten die Fantasy-Szenen sehr überzeugend: Das im Original von "96 Hours"-Star Liam Neeson gesprochene Monster sieht fantastisch aus und sorgt für einige echte Augenöffner in einer düsteren Atmosphäre. Es gibt ebenso schöne wie finstere Bilder zu begutachten und den Effektspezialisten kann man dazu nur gratulieren: Das Monster wirkt stets gleichsam bedrohlich als auch gütig und kommt somit dem Herz der Geschichte auch optisch sehr nahe.
Fazit: Bewegendes Drama mit einer herzlichen Geschichte, die nur leider nichts Neues erzählt und somit vor den großen, besseren Vorbildern kapitulieren muss. Technisch und schauspielerisch gestaltet sich das Werk indes einwandfrei.

Note: 3








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