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Der fremde Sohn

"Gran Torino" hatte mich im Jahr 2009 kaum überzeugt. Schon damals im Kino war ich nicht sonderlich angetan von der vorhersehbaren und eher biederen Geschichte und als ich den Film von und mit Clint Eastwood kürzlich erneut sah, hatte sich meine Meinung kaum geändert. Aber einige Monate, bevor der Film damals in die Kinos kam, lieferte Eastwood, diesmal nur als Regisseur, einen weiteren Streifen ins Oscar-Rennen und dieser gelang ihm, mit mehr Gefühl und Intensität, weitaus besser.

DER FREMDE SOHN


Im März 1928 verschwindet der neunjährige Walter Collins (Gattlin Griffith), Sohn von Christine Collins (Angelina Jolie), spurlos. Wenige Monate später findet die Polizei von Los Angeles einen Jungen, der auf die Beschreibung passt... doch Christine beteuert, dass dies nicht ihr Sohn sei und die Polizei die Suche wieder aufnehmen soll. Doch diese weigert sich und stellt die verzweifelte Mutter als verwirrt und unzurechnungsfähig da, da sie überzeugt sind, den Jungen gefunden zu haben. In einer Sackgasse wendet sich die Frau an die Presse und den Sprecher der Sankt-Paulus-Kirche, Reverend Gustav Briegleb (John Malkovich). Nun fühlt sich die Polizei in die Ecke gedrängt und holt zu einem erneuten Schlag aus, um Christine mundtot zu machen...

Ich habe "Der fremde Sohn" damals im Kino gesehen und war erschüttert von der bewegenden Geschichte, die tatsächlich so passiert ist. Auch wenn wie gewohnt Abstriche gemacht und einzelne Abschnitte dramatisiert wurden, so ist die Story auch als Film noch sehr menschlich und gerade deswegen so intensiv. Wie die Polizei sich vehement sträubt und sogar falsche Tatsachen erfindet, um selbst in der Öffentlichkeit besser dazustehen, das ist leider erschreckend real. Doch nicht nur auf diese Geschichte stützt sich der Film, sondern er liefert mit der Auflösung rund um das Verschwinden des Jungen und weiterer Kinder sowie den Schicksalen weiterer Mütter und Väter auch weitere Storylines, die sich zu einem sehr überzeugenden Mix aus Drama, Thriller und Politfilm entwickeln. Eastwood hält die Spannung stets oben und hat besonders in den treffsicher inszenierten Dialogen ein Händchen dafür, den Zuschauer für seine Geschichte einzunehmen. Lang, aber niemals langweilig führt er uns in die Hintergründe der polizeilichen Korruption, macht immer wieder angenehme Schlenker zu Details und hält unsere Aufmerksamkeit so fast zweieinhalb Stunden lang ungebrochen aufrecht. Tatsächlich kommt einem der Film trotz eines niemals wirklich flotten Tempos eher wie ein 90-Minüter vor, da er so viel zu bieten hat. Trotzdem vergisst er dabei die großen Gefühle nicht und ersäuft diese glücklicherweise nie im Kitsch, sondern bleibt nah an den Menschen und ihren Situationen... Situationen, in denen sich wohl keiner von uns jemals befinden möchte. Eastwood findet passende Bilder für den Schrecken, er mildert nicht ab, inszeniert diese aber auch nicht effekthascherisch und gerade die Arbeiten in Sachen Kamera und Kostüme ist meisterhaft. Einzig der Soundtrack hätte ab und an etwas weniger aufdringlich sein können, manchmal hätten einige Szenen ohne das eher blasse Gedudel vielleicht sogar mehr Wirkung gehabt. Ein kleiner Kritikpunkt ist auch der Schlussakt, denn wo die Geschichte für den unbeteiligten Zuschauer soweit eigentlich auserzählt scheint, kann Eastwood nicht umhin, noch einen recht langen Epilog nachzuschieben, welcher die Enden noch mehr beendet als nötig gewesen wäre, womit der Film leider an seinem Höhepunkt vorbeischießt und seine letzten Szenen einigermaßen wirkungslos verpuffen lässt. Hier wäre weniger mehr gewesen. Zuvor haben wir jedoch ein vorbildliches Thriller-Drama gesehen, dass Gänsehaut verursacht und hochspannend inszeniert ist. Zudem wird die Geschichte auch von phänomenalen Schauspielern getragen: Die oscarnominierte Angelina Jolie lässt iher Fassade bröckeln und begeistert mit einer sehr ehrlichen, einfühlsamen Performance, John Malkovichs Auftritt fällt klein, aber prägnant auf, er spielt seinen Co-Stars verlässlich die Bälle zu und dient als zusätzlicher Sympathieträger. Neben einem soliden Jeffrey Donovan spielt auch noch "House of Cards"-Star Michael Kelly als ermittelnder Polizeibeamter ganz groß auf, seine Szenen gehören zu den intensivsten des ganzen Films. Insgesamt ein starker Thriller mit nur wenigen, halb so schlimmen Mankos, welcher bewegt, fesselt, schockiert und enthüllt. Eastwood kann es immer wieder und er beweist, dass für jeden Mittelmaß-Film ein neues (Fast-)Meisterwerk wieder um die Ecke kommt.

Note: 2+




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